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Am kommenden Sonntag beginnen die offenen Europameisterschaften im Para Schwimmen auf Madeira (21. bis 27. April). Das deutsche Team geht die sieben Wettkampftage nach den sehr erfolgreichen Weltmeisterschaften 2023 mit Selbstvertrauen an. In Funchal warten aber neben den sportlichen Wettkämpfen noch weitere Herausforderungen auf das junge deutsche Team, das mit einer Rückkehrerin und zwei Debütantinnen antritt. 

Auf der portugiesischen Insel gab es bereits einige deutsche Erfolge zu feiern: Zum insgesamt vierten Mal seit 2016 finden internationale Wettkämpfe im Para Schwimmen auf Madeira statt: Mit den am Sonntag startenden offenen Europameisterschaften ist es nach 2016 und 2021 bereits die dritte EM, die im Olympic Pools Complex in Funchal ausgerichtet wird. 2022 ging es auf Madeira zudem um WM-Medaillen. Sind also aller guten Dinge vier? „Die Insel Madeira ist ein wunderbares Ziel, um einen tollen Wettkampf zu haben. Wir hätten uns aber auch mal einen näheren Ort gewünscht“, sagt Bundestrainerin Ute Schinkitz. Zum einen dauert die Anreise so wieder fast einen ganzen Tag. Und zum anderen ist der Olympic Pools Complex nicht ideal gebaut: Athlet*innen im Rollstuhl können sich in den engen Fluren teilweise sehr schlecht fortbewegen. „Aber wir können das nicht ändern und deswegen haken wir das schnell wieder ab“, sagt Schinkitz, die insgesamt 15 Schwimmer*innen für die EM nominiert hat.
 
Neben dem Austragungsort gibt es zudem weitere Variablen, die das deutsche Team nicht beeinflussen kann: die gewachsene Konkurrenz und die internationale Klassifizierung. Bei der EM in Funchal werden erstmals seit längerer Zeit wieder Schwimmerinnen und Schwimmer aus Russland sowie Belarus als unabhängige Athlet*innen antreten. "Wir haben jetzt die Herausforderung, dass die unabhängigen Athleten auf die Bühne kommen und wir im direkten Vergleich auf sie treffen, was mehrere Jahre nicht passiert ist“, schildert Schinkitz und sagt: „Da gilt es: Bei sich bleiben und das Trainierte in die eigene Wettkampfleistung bringen – das ist und bleibt das Wichtigste.“

Fragezeichen rund um die Teilnahme russischer und belarussischer Athlet*innen

Das Leistungsvermögen der russischen und belarussischen Sportler ist die eine große Unbekannte. Zudem kommen weitere Fragen auf: Kann man wirklich nachweisen, dass die unabhängigen Athlet*innen nichts mit dem russischen Angriffskrieg in der Ukraine zu tun haben? Wie sah das Anti-Doping-Programm der Schwimmer*innen aus Russland und Belarus in den vergangenen Jahren ohne internationale Wettkämpfe aus? Alle Teilnehmenden an den offenen Europameisterschaften auf Madeira und den Paralympics in Paris müssen damit umzugehen lernen.
 
Auch die internationale Klassifizierung der Para Schwimmer*innen, die sich noch bis in den Juni zieht und bei der bestimmt wird, in welchen Startklassen die Athlet*innen antreten werden, ist ein großes Thema: „Die Klassifizierung kann das Startfeld in Paris nochmals verändern“, weiß Bundestrainerin Schinkitz. Bei den Para Swimming World Series von Lignano im März 2024 schwamm beispielsweise in der Startklasse S9 von Malte Braunschweig (Berliner Schwimmteam) der Ukrainer Sergii Shevtsov und dominierte auf den 50 Metern Freistil: Der Schwimmer hat eine fortschreitende genetische Krankheit und Arthritis, 2021 nahm er noch für die Ukraine bei den Olympischen Spielen in Tokio teil. In welcher Startklasse Shevtsov in Funchal schwimmen wird, ist noch unklar, er wird nach Protest von World Para Swimming nochmals klassifiziert. „Da kannst du mental auch noch so stark sein: Das beschäftigt dich natürlich“, sagt Schinkitz.

Auch beim selbstbewussten Josia Topf vom SV Erlangen (S3), der die WM 2023 aufgrund einer Krankheit verpasste, gab es wieder einige Veränderungen in der Startklasse: Der in den vergangenen Jahren so dominante Mexikaner Jesús Hernández Hernández, mit für die Startklasse S3 eher ungewöhnlich langen und austrainierten Armen, wurde in eine höhere Klasse eingestuft. Im jungen Franzosen Dimitri Granjux, der bei den World Series in Aberdeen im vergangenen Februar erste Ausrufezeichen setzte und ebenfalls über eine hohe Armspannweite verfügt, kam aber direkt große Konkurrenz nach.
 
Zwischenstation vor Paris: "Brauchen uns nicht zu verstecken"

„Wir brauchen uns auch nicht verstecken, wir haben eine sehr gute WM gezeigt. Wir haben viele Medaillen geholt und viele gute Leistungen bzw. Leistungsentwicklungen gezeigt“, sagt Schinkitz. Das gesamte deutsche Team freue sich über die EM als eine Art Zwischenstation vor Paris. Die offenen Europameisterschaften, es könnten also auch Athleten außerhalb von Europa an den Wettkämpfen teilnehmen, liege laut Schinkitz zudem methodisch sehr gut: „Man kann bestimmte Dinge nochmal ganz bewusst ausprobieren.“ Beispielsweise reist die Berliner Trainingsgruppe um Elena Semechin (geb. Krawzow), Malte Braunschweig und Mira Jeanne Maack direkt vom Höhentrainingslager in der Sierra Nevada (Spanien) nach Madeira und kann testen, ob es sich auch kurz vor den Paralympics in Paris lohnen könnte, direkt aus der Höhe nach Frankreich zu reisen.

Für Taliso Engel, den Weltrekordler auf den 50 und 100 Meter Brust (SB13), wird Madeira auch ein guter Test: Im Herbst wurde dem Paralympics-Sieger von Tokio ein Cochlea-Implantat eingesetzt. Wie so oft in den vergangenen Jahren hatte der 21-jährige Schwimmer von der SG Bayer einige Trainingsausfälle. Die Bundestrainerin bewundert vor allem die mentale Stärke des dreimaligen Weltmeisters von 2019, 2022 und 2023. „In Paris wird er wieder an seine Top-Zeiten herankommen“, ist sich Schinkitz sicher.
 
Schinkitz traut den Medaillengewinnern der WM 2023, als die deutschen Para Schwimmer*innen satte 17 Edelmetalle holten, erneut Plätze auf dem Treppchen zu. Bei der WM auf Madeira im Sommer 2022 waren es übrigens 14 Medaillen. Jeder Athlet im deutschen Team verfolgt aber eigene, individuelle Ziele auf Madeira: die einen wollen Medaillen gewinnen, die anderen wollen sich auf hohem internationalen Niveau messen, Wettkampfroutinen nachschärfen oder auch einfach erste Erfahrungen im internationalen Wettbewerb sammeln. Wie beispielsweise die Neulinge Charlotte Kast oder Tabea Teschauer sowie Johanna Döhler (alle aus dem Berliner Schwimmteam), die schon 2023 bei der WM am Start war und mit 13 das „Küken“ des deutschen Teams ist.
 
Für einige deutsche Athlet*innen geht es auf Madeira noch um Normen: Topf und Rückkehrerin Maike Naomi Schwarz (SC Potsdam) haben beispielsweise bereits die nationalen Normen geschafft. Die internationale Norm, die vor Paris nur noch in Funchal erreicht werden kann, fehlt den beiden aber noch. Malte Braunschweig und Tanja Scholz (PSV Neumünster), die bei den Weltmeisterschaften 2022 und 2023 insgesamt sechs Mal Gold und fünf Mal Silber gewann, fehlt in dieser Saison noch die nationale Norm für die Paralympics. Viele verschiedene Herausforderungen und Hindernisse also, die in der kommenden Woche auf das deutsche Team warten. Doch genau „deswegen ist die EM so wichtig, weil so vielfältige Dinge auf uns zukommen“, sagt Schinkitz. Wenn sich ihre Schützlinge auf ihre eigene Leistungsfähigkeit konzentrieren können und die Herausforderungen vor Ort annehmen sowie daraus lernen, dann kann auf Madeira im Hinblick auf Paris im Sommer wirklich gelten: Aller guten Dinge sind vier.

Weitere Informationen gibt es auf der Webseite von World Para Swimming.
 
Text: Patrick Dirrigl / DBS
 
Der deutsche Kader für die Para Schwimm-EM (Alter, Geburtsort, Verein):
Gina Böttcher (23 / Brandenburg a. d. Havel / SC Potsdam), Malte Braunschweig (23 / Berlin / Berliner Schwimmteam), Johanna Döhler (13 / Berlin / Berliner Schwimmteam), Taliso Engel (21 / Lauf a. d. Pegnitz / TSV Bayer 04 Leverkusen), Philip Hebmüller (17 / Neuss / Düsseldorfer SC), Justin Kaps (22 / Berlin / Berliner Schwimmteam), Charlotte Kast (15 / Berlin / Berliner Schwimmteam), Mira Jeanne Maack (20 / Berlin / Berliner Schwimmteam), Tanja Scholz (39 / Elmshorn / PSV Neumünster), Verena Schott (35 / Greifswald / BPRSV e.V.), Maike Naomi Schwarz (30 / Yokohama (Japan) / SC Potsdam), Elena Semechin (30 / Nowowoskresenowka (Kasachstan) / Berliner Schwimmteam), Tabea Nele Teschauer (17 / Berlin / Berliner Schwimmteam), Josia Topf (20 / Erlangen / SV Erlangen), Maurice Wetekam (18 / Dortmund / TSV Bayer 04 Leverkusen)

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