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Der eine nimmt voraussichtlich an den Olympischen Spielen teil, der andere hat gute Chancen auf die Paralympics: Ole und Malte Braunschweig wären das erste deutsche Brüderpaar, dem das im gleichen Jahr gelingt – Über zwei Schwimmer, die sich in Tokio ihren gemeinsamen Lebenstraum erfüllen wollen

Malte Braunschweig im Wasser | Foto: Ralf Kuckuck / DBSWenn man Malte Braunschweig nach seinen Vorbildern fragt, muss der 20 Jahre alte Para Schwimmer vom Berliner Schwimmteam nicht lange nachdenken: „Chad le Clos – und natürlich mein Bruder.“ Le Clos gewann bei den Olympischen Spielen in London 2012 Gold über 200 Meter Schmetterling, knapp vor Michael Phelps. Ole Braunschweig, Maltes großer Bruder, ist amtierender Deutscher Meister über 50 und 100 Meter Rücken – und hat Malte quasi auch zum Schwimmsport gebracht.

„Ole ist zuerst von uns beiden zum Schwimmen gekommen. Dann meinten meine Eltern, dass ich das doch auch mal probieren sollte“, sagt Malte Braunschweig, der eine Dysmelie am rechten Arm hat: Seine Oberarmmuskulatur ist nur zum Teil vorhanden, zudem fehlt ihm an der rechten Hand der kleine Finger. In der Startklasse S9 hält er gleich sechs deutsche Rekorde: im Freistil, Schmetterling und im Rückenschwimmen – jeweils über 50 und 100 Meter.

Und dieses Jahr könnten sich die Braunschweig-Brüder aus Berlin-Biesdorf einen Lebenstraum erfüllen: Sie haben beide gute Chancen, in Tokio an den Start zu gehen – Ole bei den Olympischen Spielen, Malte bei den Paralympics. Sie wären das erste deutsche Brüderpaar, dem das im gleichen Jahr gelingt. „Das bedeutet alles für uns“, sagt Ole Braunschweig, der in der 4x100-Meter-Lagenstaffel sowie voraussichtlich auch über 100 Meter Rücken in Tokio alles geben will. „Unsere Eltern sind total stolz. Die ganze Zeit und das Geld, das sie in uns und unseren Sport investiert haben, war nicht umsonst.“

Dass es die beiden Brüder nach Tokio schaffen können, ist nicht selbstverständlich: „Wir hatten viele Rückschläge in der Vergangenheit“, sagt Ole Braunschweig. Zudem sei die Finanzierung beider Leistungssportler nicht immer einfach gewesen. Mit harten Rückschlägen kennt sich der mit 23 Jahren ältere der beiden Braunschweig-Brüder bestens aus: „Im Dezember 2019 hat sich Ole das Kreuzband gerissen – seitdem trainiert er ohne Kreuzband. Er hat sich noch nicht operieren lassen, weil ihm seine Muskulatur genug Stabilität gibt“, sagt Malte Braunschweig. „Außerdem hatte er noch Pfeiffersches Drüsenfieber, war Corona-positiv und wegen der Quarantäne nochmals zwei bis drei Wochen aus dem Training raus“, berichtet Malte aus der Krankenakte seines großen Bruders.

Mit Ehrgeiz und Motivationskünsten zum großen Traum?

Wie Ole mit seinen Verletzungen und Krankheiten umgegangen ist, ist einer der Gründe, warum er das große Vorbild seines kleinen Bruders ist: „Er lässt sich davon einfach nicht unterkriegen. Er gibt niemals auf, kommt immer wieder zurück“, sagt Malte, der sich zudem gern eine Scheibe von Oles Ehrgeiz, seiner „vollen Fokussierung aufs Ziel“ abschneiden würde. Dass der große Bruder immer wieder so stark zurückkommen kann, liegt aber auch an Maltes Motivationskünsten. „Vor allem nach meinem Kreuzbandriss hat mich Malte sehr unterstützt und mir immer wieder gut zugeredet“, sagt Ole Braunschweig. „‚Ole denk dran: unser Traum…‘“, habe Malte ihm stets eingeflüstert und so ein paar Prozente mehr aus ihm herausgeholt.

„Malte ist ein toller Teamplayer und hat sich zu einer starken Persönlichkeit entwickelt“, sagt Ute Schinkitz, die Bundestrainerin der deutschen Para Schwimmer. „Außerhalb des Beckens nimmt er die anderen immer wieder mit, denkt an sie und motiviert sie“, berichtet die Bundestrainerin, die aber gleichzeitig auch etwas zur Vorsicht mahnt: „Malte muss aufpassen, dass er im entscheidenden Moment nicht zu viel Energie an andere abgibt.“ Deshalb könne es sein, dass ihm selbst ein paar Prozent zu seiner absoluten Leistung fehlen. „In unserer Familie heißt es immer: ‚Malte ist einfach zu lieb für diese Welt‘“, sagt Ole Braunschweig. „Er macht sich sehr viele Gedanken um andere – und stellt sich selbst hinten an.“ Dass Malte seine Energie mehr für sich selbst nutzen könnte, „sage ich ihm auch. Bei Problemen reden wir darüber und ich nehme ihm Bürden ab, gebe ihm Ratschläge“, erzählt der „Hulk“ – der Name des muskulösen, grünen Marvel-Helden wurde Ole Braunschweig von seinem Trainer Lasse Frank verpasst, weil Braunschweig mit einer grünen Badekappe bei den deutschen Meisterschaften 2019 so auftrumpfte.

Der nächste Wettkampf für Malte Braunschweig steht vom 16. bis 22. Mai an: Es geht zu den Europameisterschaften der Para Schwimmer nach Madeira. Bei der EM in Portugal will der 20-Jährige, der neben dem Leistungssport ein duales Studium im Fach Bauingenieurwesen bei den Berliner Wasserbetrieben absolviert, „Bestzeiten schwimmen und ins Finale kommen.“ Den letzten Schliff für Madeira holt sich der Athlet der Startklasse 9 mit der Trainingsgruppe von Coach Phillip Semechin im Trainingslager in Belek. „Wir können draußen trainieren, haben tolles Wetter, gutes Essen – alles, was wir brauchen“, sagt Malte, der an freien Nachmittagen „ein bisschen was für die Uni“ macht oder am Pool auch mal in einem Buch schmökert. Aktuell liest der 20 Jahre alte Schwimmer „Siege oder Lerne“ von John Kavanagh. Der Mixed-Martial-Arts-Trainer schildert darin, wie er aus dem irischen Kämpfer Conor McGregor einen Champion geformt hat. Den extrovertierten Iren nennt Malte Braunschweig ein „Vorbild außerhalb des Schwimmsports.“ Empfohlen hat ihm das Buch wiederum sein Vorbild aus der eigenen Familie: Bruder Ole.

Die Para Europameisterschaften als Zwischenetappe vor dem großen Ziel

Die EM, seine zweite nach der in Dublin 2018, ist für Malte Braunschweig eine Zwischenetappe vor dem großen Ziel: Tokio. „Es wären meine ersten Paralympics, meine Premiere – deshalb ist es sehr aufregend für mich.“ Auch dort will er wieder Bestzeiten schwimmen, wenn nach der geschafften Qualifikation auch die Nominierung erfolgt. „Vielleicht ist ja sogar auch ein Finalplatz für mich drin.“ Bei den Weltmeisterschaften in London 2019 wurde Malte Neunter über 100 Meter Rücken, verpasste das Finale um drei Zehntel. „Das war ein tolles Ergebnis, das Feld in seiner Startklasse ist sehr groß und an der Spitze sehr eng“, sagt Ute Schinkitz. „Ein Finalplatz ist realistisch“, sagt die Bundestrainerin. Aber: „Malte muss seine Top-Leistung bringen, alles ist von der Tagesform abhängig.“ Am Tag X müsse der 20-Jährige, der bei European Youth Games bereits fünf Medaillen gesammelt hat (dreimal Gold und zweimal Silber), voll da sein. „Das ist die Kunst“, sagt Schinkitz.

Ohne Fans und Zuschauer würden die Paralympics laut Malte Braunschweig „etwas anders“ und doch „besonders“ sein: „Ich gehe ganz positiv an die Sache ran: Man kann immerhin sagen, dass man bei den Spielen während der Corona-Pandemie dabei war.“ Sein Bruder Ole blickt mit ähnlichen Ambitionen und der gleichen Vorfreude Richtung Tokio – in Berlin gibt es also auch eine Braunschweiger Eintracht: „Mein größtes Ziel ist es, meine Bestzeit zu schwimmen. Mit der Staffel möchte ich ins Finale und im Einzel würde ich gerne das Halbfinale erreichen“, sagt der 23-jährige Rückenschwimmer. „Auch wenn wir nur zwischen unserem Zimmer im Dorf und der Halle pendeln, wird das trotzdem geil.“ Es seien „historische Spiele“, denn: „In der Geschichte der Olympischen Spiele wurden diese nur zwei Mal abgesagt, nun wurden sie zum ersten Mal verschoben“, sagt Ole Braunschweig. Sich für die Spiele in Tokio qualifiziert zu haben, sei deshalb „etwas Besonderes“. Was Tokio 2021 aus deutscher Sicht historisch machen würde, wäre, wenn Ole Braunschweigs kleiner Bruder Malte nur ein paar Wochen nach ihm im gleichen Becken bei den Paralympics startet. Was wäre das für eine Geschichte – nicht nur für die Familie Braunschweig.

Quelle: Patrick Dirrigl

 

Para Schwimmen: Die EM als Testlauf für die Paralympics

Neben Malte Braunschweig werden bei den Europameisterschaften im Para Schwimmen 15 weitere deutsche Athletinnen und Athleten an den Start gehen. Die Wettkämpfe, die zwischen dem 16. und 22. Mai auf Madeira stattfinden, kommen einem kleinen Testlauf für die Paralympics in Tokio gleich. „Für viele ist es der erste internationale Vergleich. Zudem wird es wichtig sein, wie die Sportler mental mit der Bubble klarkommen werden“, sagt Bundestrainerin Ute Schinkitz vor der Reise nach Portugal, die durch das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat gefördert wird.

Bezüglich der Bubble im Zuge der Corona-Pandemie gibt es für das deutsche Funktionsteam, das neben Schinkitz aus sieben weiteren Personen bestehen wird, noch einige offene Fragen: Wie beispielsweise beim Transfer zwischen Hotel und der Schwimmhalle Vermischungen der internationalen Teams vermieden werden können, ist noch nicht endgültig geklärt. „Wir werden unsere Aufenthalte in der Halle so kurz wie möglich halten“, sagt die Bundestrainerin. Vermutlich werden die Mitglieder des deutschen Teams auch eher auf den Zimmern und nicht im Speisesaal des Hotels essen: „Wir sind da sehr vorsichtig.“

Trotz der Corona-Pandemie sei bei den deutschen Schwimmerinnen und Schwimmern „der unbedingte Wille, international zu starten“, laut Schinkitz sehr groß gewesen: „Und natürlich unterstützen wir unsere Athleten bei ihren Zielen und Träumen.“ Der größte Traum dürften die Paralympics sein, dafür müssten manche noch die Qualifikationszeiten schwimmen. „Die EM und die IDM sind die letzten beiden Chancen für die Normen, die letzten Möglichkeiten sich anzubieten.“ Das deutsche Team wird in Portugal zudem viele Klassifikationen vor sich haben. „Das ist eine große mentale Belastung“, sagt Schinkitz. Der Vorfreude auf die internationalen Wettkämpfe tut dies aber keinen Abbruch: „Es ist immer wieder schön, die leuchtenden Augen der Sportler zu sehen“, sagt die Bundestrainerin, die noch hinterherschiebt: „Die Augen sieht man ja auch trotz der Maske noch.“

Weitere Informationen und Ergebnisse rund um die EM im Para Schwimmen gibt es unter www.paralympic.org/madeira-2020.

Das deutsche EM-Team für Madeira:
Elena Krawzow (27 / Berliner Schwimmteam / Nowowoskresenowka, Kasachstan), Marlene Endrolath (20 / Berliner Schwimmteam / Göppingen), Mira Jeanne Maack (17 / Berliner Schwimmteam / Berlin), Cosima Reinicke (18 / Berliner Schwimmteam / Berlin), Justin Kaps (19 / Berliner Schwimmteam / Berlin), Malte Braunschweig (20 / Berliner Schwimmteam / Berlin), Denise Grahl (29 / Hanse SV Rostock / Schwerin), Neele Labudda (18 / Hanse SV Rostock / Lübeck), Katherina Rösler (19 / Hanse SV Rostock / Rostock), Gina Böttcher (20 / SC Potsdam / Brandenburg a. d. Havel), Verena Schott (32 / BPRSV / Greifswald), Janina Breuer (22 / SSC Karlsruhe / Aachen), Taliso Engel (18 / SG Bayer / Lauf a. d. Pegnitz), Tobias Pollap (34 / SG Bayer / Hattingen), Fabian Brune (20 / SG Bayer / Attendorn), Johannes Weinberg (18 / TV 1860 Immenstadt / Oberstdorf).

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