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Para Leichtathletin Francés Herrmann hat bei den Paralympics 2008 Silber mit dem Diskus und 2016 Bronze mit dem Speer gewonnen – 2019 startete sie schwanger bei der WM und trainiert nun als Mama auf ihre dritte Paralympics-Medaille in Tokio hin

Frances Herrmann mit ihrer Medaille | Foto: Binh Truong / DBS Bei den Para Leichtathletik-Weltmeisterschaften Anfang November 2019 warf Francés Herrmann mit Baby im Bauch – doch bis auf die Bundestrainerin, ihren Heimtrainer und den Mannschaftsarzt wusste niemand davon. Ihr Minimalziel erreichte die 31-Jährige: Platz vier mit dem Speer und damit einen Paralympics-Qualifikations-Slot für die deutsche Mannschaft. Inzwischen hat Sohn Henry Albin das Licht der Welt erblickt und ist bereits sieben Monate alt.

„Bei der WM war dann doch schon was im Weg, sonst hätte es zu 100 Prozent zu einer Medaille gereicht“, sagt Herrmann, die eine spastische Tetraparese hat und sitzend wirft: „Meine Ärztin hatte gesundheitlich keine Bedenken, sonst wäre ich nicht bei der WM gestartet.“ Mittlerweile ist Sohn Henry Albin sieben Monate alt und ein „pflegeleichtes Kind“, wie die Cottbuserin nach drei Wochen Saisonpause sagt. Schon vor der Geburt war klar, dass sie es auch mit Kind zu den Paralympics schaffen möchte. Durch die coronabedingte Verschiebung hat sie nun mehr Zeit zur Vorbereitung: „Auch wenn der Hintergrund mit der Pandemie ernst ist, für mich persönlich ist das zusätzliche Jahr ein Geschenk.“

Bei den Würfen schiebt Trainer Paulo Sohn Henry über den Platz

Als solches empfindet es Herrmann auch, wie ihr sportliches Umfeld auf die Schwangerschaft reagiert hat – mit viel Unterstützung. Beim ersten Lehrgang im Juli in Kienbaum durfte Henry Albin mitsamt Papa mitkommen, zum fünfmonatigen Geburtstag gab es dann sogar eine kleine Feier mit Bundestrainerin Marion Peters und Heimtrainer Ralf Paulo. „Wenn die beiden nicht dahinterstehen würden, wäre es nicht so leicht für mich“, sagt Herrmann, die dem Paralympicskader des Deutschen Behindertensportverbandes angehört: „Alle haben sich gerne gekümmert. Bei meinen Würfen kommt es jetzt schon mal vor, dass Herr Paulo meinen Sohn über den Platz schiebt.“

Dass Leistungssport und Baby funktionieren, sah Herrmann auch bei Para Kanutin Edina Müller, die bereits sieben Monate nach der Geburt WM-Silber gewonnen hat. Auch wenn nun kein sportliches Highlight anstand, ist Herrmann mit Blick auf Tokio im Plan. Mit 16,33 Metern im letzten Saisonwettkampf verpasste sie die Norm nur um 59 Zentimeter. „Die Norm ist nicht locker, aber auf alle Fälle machbar“, ist sich Trainer Ralf Paulo sicher: „Der Wurf war weiter als bei der WM, es läuft also alles rund. Wenn die Norm gelingt, wird Francés in Tokio auch um eine Medaille kämpfen.“

Trainer Ralf Paulo: „Francés will in Cottbus offensichtlich in allem eine Vorreiterin sein“

Paulos Naturell als positiv denkender Mensch war es auch zu verdanken, dass Herrmann nie an ihrer Entscheidung zweifelte. „Als sie 2019 sagte, dass sie schwanger ist, war das eine Überraschung und ich habe mich gefragt: Bekommt man das alles hin? Wären die Spiele dieses Jahr gewesen, hätten wir mehr Gas geben müssen, aber jetzt stehen die Chancen deutlich besser. Die neue Situation ist interessant, spannend und macht unheimlich Spaß“, sagt Paulo und fügt lachend hinzu: „Francés will in Cottbus offensichtlich in allem eine Vorreiterin sein: erste Para Athletin an der Sportschule, erste Medaille und als erste Athletin mit Kind zu den Paralympics.“

Seit 30 Jahren trainiert Paulo beim BPRSV Cottbus Sportlerinnen und Sportler mit einer Behinderung. Anfangs kam es auch vor, dass er selbst als Guide mit blinden Athleten rannte. „Da wurde man immer belächelt, aber mittlerweile sind wir akzeptiert und anerkannt. Die Leute sehen: Das ist Leistungssport. Eine Behinderung reicht nicht, um zu den Paralympics zu kommen, dafür bedarf es hochintensivem Training.“

Herrmann arbeitet als Sozialarbeiterin an der Sportschule

Das sei auch ein Verdienst von Herrmann. Als sie 2003 mit 14 Jahren erstmals auf Paulo traf, erkannte dieser direkt, dass sie eine talentierte Diskuswerferin ist – doch er konnte sich nicht ausmalen, was die nächsten Jahre bringen würden. 2006 wechselte Herrmann an die Lausitzer Sportschule, zwei Jahre später gewann sie bei ihren ersten Paralympics in Peking überraschend Silber. „Diese Medaille hat uns Türen geöffnet und uns die Dimensionen ermöglicht, die wir heute haben“, sagt Ralf Paulo: „Die Sportpolitik im Land Brandenburg hat mit dieser Medaille die Paralympics für sich entdeckt.“ Das Resultat? Cottbus ist heutzutage Paralympischer Trainingsstützpunkt in der Para Leichtathletik und im Para Radsport, Potsdam im Para Schwimmen. Neun Athletinnen und Athleten sind aktuell in der Sportschule in Cottbus. „Wir hoffen die nächsten Jahre auf regelmäßig zehn bis 15 Para Sportlerinnen und Sportler, die wir vom Nachwuchs möglicherweise bis in die Weltspitze begleiten können“, sagt Paulo.

Herrmann steht den jungen Talenten jederzeit mit ihrer Erfahrung als Ratgeberin zur Seite. Dank der dualen Karriere ist sie als Sozialarbeiterin an der Sportschule beschäftigt, ihr Büro ist direkt neben dem ihres Trainers. „Wenn die Nachwuchstalente Fragen haben, kann ich oftmals auch noch etwas Neues lernen, denn der Sport und die Bedingungen sind professioneller geworden. Und wenn sie sich manchmal doch beschweren, sage ich: Heute gibt es in der Sportschule ganz selbstverständlich einen Fahrstuhl, der hätte mir damals Vieles erleichtert.“

Der Wechsel vom Diskus zum Speer erforderte harte Arbeit

Das paralympische Wettkampfprogramm hat es ihr hingegen nicht leicht gemacht: Nach ihrem bis dato größten Erfolg wurde der Diskus als Disziplin für ihre Startklasse gestrichen. Ein herber Einschnitt. „Lebenslänglich“ wird sie dieser Entscheidung hinterhertrauern, sagt Herrmann, die heute noch den Weltrekord in ihrer Startklasse hält: „Dieses seitliche Rotieren, das war mein Ding. Schon meine Oma hat Diskus geworfen, es wird immer meine heimliche Liebe bleiben.“

Doch um weiter erfolgreich zu sein, musste sie die Disziplin wechseln – ein langer Weg. Kugelstoßen kam nicht infrage und mit dem Speer war es ein harter Kampf. Erst 2014 bei der Europameisterschaft gelang Herrmann mit Platz vier der Anschluss an die europäische Spitze, 2015 bei der Weltmeisterschaft gewann sie „sensationell“ Bronze. „Herr Paulo hat – wie jetzt mit meinem ,Kleenen‘ – gesagt: Das kriegen wir hin“, erzählt Herrmann: „Ohne ihn hätte ich diese Chance vielleicht gar nicht wahrgenommen, die Disziplin zu wechseln.“

„Ich wollte ihm mit der Medaille Trost spenden“

Dieser Zusammenhalt und die jahrelange Arbeit mit dem neuen Wurfgerät bescherte den beiden den emotionalsten Moment ihrer gemeinsamen Karriere: Bei den Paralympics in Rio de Janeiro (Brasilien) warf Herrmann den Speer zu Bronze – die Umstellung hatte sich gelohnt. „Das hat mich noch viel mehr berührt“, sagt Herrmann und Paulo fügt hinzu: „Es war so eine innere Befriedigung, es den Zweiflern gezeigt zu haben. Und teilweise haben wir ja selbst gezweifelt.“

Eine bewegende Geschichte war es auch deshalb, weil Paulos Schwiegervater vor dem Abflug nach Rio verstorben war. „Wenige Tage zuvor hat er noch meinen Wurfstuhl fertig gebaut“, sagt Herrmann, die mit einem schwarzen Band am Stuhl als Trauerflor startete. Paulo flog dann erst zum Wettkampf nach Brasilien. „Das hat mir sehr viel bedeutet und ich wollte ihm mit der Medaille Trost spenden“, sagt Herrmann und Paulo fasst zusammen: „Wir haben als Team gemeinsam gewonnen.“

Im kommenden Jahr bei den Paralympics scheint für Herrmann im Speerwerfen hinter den Favoritinnen aus China und Finnland zwischen Platz drei und sechs alles möglich: „Ich muss mein Bestes abrufen, da wird die Tagesform entscheiden.“ Um sich nichts vorwerfen zu müssen, wird sie alles geben – ohne Sohn Henry Albin zurückstellen zu wollen. Für die Spiele sind Herrmanns Ziele schließlich klar: „Ich habe zwei Medaillen, da träumt man natürlich von einer weiteren.“ Es wäre das erste Edelmetall als Mama von Henry Albin.

Quelle: Nico Feißt

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