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Para Leichtathlet Moritz Raykowski ist einer von drei deutschen Delegierten – 2024 strebt er die Paralympics in Paris an und will später Professor für Politikwissenschaft werden

Moritz Raykowski lächelt in eine Fernsehkamera | Foto: Binh Truong / DBSMoritz Raykowski war 2018 bei seinem Nationalmannschafts-Debüt EM-Fünfter über 400 Meter in Berlin und hat die Paralympics 2024 als Ziel. Abseits der Tartanbahn wartet dieses Jahr eine besondere Aufgabe: Der 21-Jährige ist im Oktober einer von drei deutschen Delegierten beim Jugend-G20-Gipfel in Saudi-Arabien.

Mitte März musste Moritz Raykowski mit den Para Leichtathleten des TSV Bayer 04 Leverkusen das Trainingslager in Südafrika coronabedingt abbrechen, seither ist er alleine in seiner Leverkusener Wohngemeinschaft. „Mein Mitbewohner ist bei seinen Eltern, deshalb habe ich sturmfrei“, sagt Raykowski, der krankheitsbedingt nach der Rückkehr erstmal in Quarantäne musste: „Ich wurde dann getestet und hatte kein Corona. Das war echt ätzend, aber jetzt bin ich gesund und habe gut trainiert die letzten Wochen.“

„Beim Jugend-G20-Gipfel wird Realpolitik gemacht, das ist kein Planspiel“

Sein Studium der Sozialwissenschaften mit dem Schwerpunkt Politologie findet momentan nur online statt, was er „mega praktisch“ findet, da so auch mehr Zeit bleibt für andere Dinge. Zeit, die Raykowski dem Training und seiner neuen Aufgabe widmen kann: Vom 10. bis 18. Oktober wird er als einer von zwei Jugenddelegierten Deutschland beim Jugend-G20-Gipfel im saudi-arabischen Riad vertreten. Sein Schwerpunkt wird dabei Leadership Development sein, „wie Jugendliche eine Führungsmentalität entwickeln und ihr Potenzial zum Engagement wecken und wie ihr Interesse in politische Prozesse eingebracht werden kann.“

Über den Mailverteiler seines Sportvereins hat er die Ausschreibung gesehen und sich beworben, „weil fließendes Englisch und politisches Engagement gefordert waren und ich das spannend fand.“ Der Deutsche Bundesjugendring, die Deutsche Sportjugend und der Ring politischer Jugend vertreten 18 Millionen Jugendliche hierzulande – und Raykowski wurde als einer von drei Delegierten von verschiedenen Akteuren aus diesen Vereinigungen ernannt. Dazu gibt es einen erfahreneren Seniordelegierten, der im vergangenen Jahr schon dabei war. Ein Kennenlerntreffen in Berlin und ein Meeting im indonesischen Jakarta fielen coronabedingt aus, deshalb wird nun alles online erledigt. Die drei Delegierten bekommen Politikempfehlungen und Aufgaben, die sie dann zusammen mit den anderen Nationen ausarbeiten. „Dieses Papier wird dann einen Monat später von der G20 diskutiert. Beim Youth Summit G20 wird also Realpolitik gemacht, das ist kein Planspiel oder sowas. Deshalb ist das für mich eine tolle Möglichkeit und ich freue mich darauf“, sagt Raykowski, der sich schon seit seiner Schulzeit politisch einbringt.

„Keine meiner Tätigkeiten verzichtbar“

Angefangen als Kinder- und Jugendratsdelegierter NRW in seiner Heimatstadt Leichlingen war er auch Sprecher des Jugendparlaments Leichlingen, in der DLV-Jugend dabei und ist Mitglied der SPD im Ortsverein Leichlingen. Er engagiert sich für die Caritas zum Thema „Selbstbestimmt leben“ und gründete an der Universität zu Köln das Studieren-Ohne-Schranken-Referat. Dort ist er nun Referent für Menschen mit Beeinträchtigung und psychischer Erkrankung und glücklich mit seinen ganzen Aufgaben: „Ich habe das Gefühl, dass keine meiner Tätigkeiten verzichtbar ist. Es gibt in meinen Augen den Bedarf, dass ich den Job an der Uni mache, für mein Ziel möchte ich weiter Sport machen und ich sehe für meine Zukunft, dass es wichtig ist, dass ich meine Uni adäquat durchziehe.“

Strikt durchstrukturiert ist sein Tag aber nicht: „Mein Tagesplan ist völlig random. Ich stehe gerne früh auf, dass ich mich dehnen oder in Ruhe etwas lesen kann. Mein Training ist jeden Tag fix, sonst ist wichtig, dass ich davor und danach vernünftig esse und noch dusche. Den Job an der Uni als Referatsleiter und mein Studium lege ich mir drum herum. Aber klar, wenn ich lerne, dann habe ich meine Grundstrategien und lerne einen langen Block. Für eine halbe Stunde setze ich mich nicht an den PC.“

Selbst Zeit zum Abschalten bleibt ihm noch. Wie er sich entspannt? „Ich schalte ab, wenn ich mit Freunden abhänge oder meine Familie treffe, da mache ich nichts. Oder ich entspanne beim Lesen, am liebsten wissenschaftliche, philosophische Dinge, die mich geistig in eine andere Welt schießen. Ich bin kein Fan von Romanen oder Krimis, wer wen umgebracht hat. Ich stelle mir lieber Fragen.“

Seit Februar deutscher Hallen-Rekordhalter über 400 Meter

Mit 15 war Raykowski, der bis dahin in Leichlingen Fußball spielte, durch Zufall nach Leverkusen gekommen, der Hochburg der paralympischen Leichtathletik in Deutschland: „Ein Freund von mir war bei Felix Streng in der Stufe, da habe ich irgendwann eine Broschüre gesehen, auf der Heinrich Popow drauf war und dachte: Das probiere ich aus.“ Raykowski hat eine Hemiparese rechts, ist also halbseitig gelähmt. Beim TSV Bayer 04 war schnell klar, dass Raykowski zum Mittelstreckler taugt, er holte zwei Silber- und drei Bronzemedaillen bei Junioren-Weltmeisterschaften.

2017 liebäugelte er sogar über die 800 Meter mit seiner ersten WM bei den Erwachsenen, doch ein Ermüdungsbruch im rechten Fuß verhinderte das: „Sonst wäre ich wohl dabei gewesen. Das Talent ist ja da, ich war unter den Top Ten der Welt.“ Stattdessen wurde seine Paradedisziplin aus dem paralympischen Programm gestrichen und Raykowski musste auf den Langsprint umstellen: Bei der Heim-EM 2018 wurde er Fünfter über 400 Meter, 2019 verpasste er die Saison aber wieder wegen eines Ermüdungsbruchs: „Da musste ich erkennen, dass mein rechter Fuß lange Belastungen einfach nicht mitmacht und das Training anpassen.“

Das gelingt ihm seither gut, Raykowski fühlt sich fitter als je zuvor. In diesem Jahr wäre sogar die EM in Polen ein Thema gewesen: „Ich habe über den Winter elf Mal pro Woche trainiert und die Leistungsentwicklung war sehr positiv, auch wenn die Normen hart sind. Aber in der Halle bin ich deutschen Rekord über 400 Meter gelaufen, 57,65 Sekunden, das war anderthalb Sekunden unter meiner vorherigen Freiluft-Bestzeit.“

„Sport ist ein Chancenbereich für Jugendliche“

Der Sport hat Raykowski schon zu Junioren-Weltmeisterschaften in den Niederlanden und Tschechien gebracht, zu Trainingslagern in Südafrika oder Spanien und ihm auch beruflich weitergeholfen: Durch den Captains Day der Sportstiftung NRW konnte er ein Praktikum beim Wirtschaftsprüfungsunternehmen KPMG machen, im September folgt ein Praktikum bei der SPD-Fraktion im Landtag NRW auf Vermittlung von Helene Hammelrath, der Vorsitzenden der Stiftung Behindertensport. „Da muss ich mir für den G20-Gipfel dann eine Woche frei nehmen“, sagt Raykowski mit Blick auf die Tage in Saudi-Arabien.

Die Erfahrungen aus dem Sport kann der Nachwuchspolitiker nun auch in seiner Arbeit für den Jugend-G20-Gipfel einbringen: „Das habe ich vorher nicht so klar so gesehen, aber im Sport ist das Zusammenspiel zwischen dir und der Umwelt simpel und sehr direkt. Sport ist ein Chancenbereich für Jugendliche, weil du ein Umfeld verändern kannst, wenn du trainierst, als Kapitän Dinge entscheidest auf dem Feld oder dich einbringst. Sport nicht nur als Sport, sondern auch als politischen Gegenstand zu sehen – das ist sehr interessant.“

Raykowskis Ziel: Professor für Politikwissenschaft werden

Wenn Raykowski nach seinem größten Wunsch gefragt wird, kommt die Antwort schnell: „Weltfrieden. Wenn man den größten Wunsch frei hätte, würde er sich nicht um mein Leben drehen. Es wäre falsch, wenn man ihn für sich nutzt.“ Und für sich selbst? „Dann auch Weltfrieden“, sagt er und lacht: „Ich bin vom Glück verfolgt. Ich bin ein Mensch, der seinen Interessen und Leidenschaften folgen und sich intrinsisch stark motivieren kann. Aber wenn ich es so sagen dürfte, würde ich am liebsten Professor für Politikwissenschaft werden. Ich sehe mich nicht in der Politik später, sondern in der Forschung.“

Sportlich sind die Paralympics 2024 in Paris sein Fernziel, bis zum Bachelorabschluss kommenden Sommer ist es „die höchste Priorität, maximal in den Sport zu investieren.“ Dann wird sich zeigen, ob Raykowski in Köln bleibt, denn sein Plan sieht einen internationalen Master in London vor: „Ich würde gerne beim TSV und beim BRSNW bleiben, weil ich mich hier gut aufgehoben fühle. Aber mein Ziel ist es nicht, eine Sache zu machen und zu sagen, das bin ich jetzt, sondern durch alle Dinge weiter erfüllt zu sein.“

Ob er einen Paralympicssieg 2024 in Paris durch eine Karriere als Professor eintauschen würde? Raykowski, der von vielen Seiten schon jetzt „Professor“ genannt wird, denkt nach, sagt dann: „Vom Glück her gibt es wenige Dinge, die über einen Paralympicssieg gehen. Aber ich kann nicht viele Jahre von einem Moment zehren. Das ist nicht das Konzept von Glück, ein Mensch ist nicht dafür gemacht, langfristig Glück zu empfinden. Ich kann mir auch nicht vorstellen, mit 25 Jahren das Highlight meines Lebens hinter mir zu haben. Vielleicht möchte ich lieber jeden Tag als Professor arbeiten, das ist realistisch. Ich will irgendwann aufs Leben gucken und sagen können: Das war schön.“

Quelle: Nico Feißt / Behinderten- und Rehabilitationssportverband Nordrhein-Westfalen

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