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Road to PyeongChang: Die blinde Para-Langläuferin und -Biathletin Clara Klug und ihr Heimtrainer und Guide Martin Härtl haben ein besonderes Verhältnis – Ein paralympischer Traum treibt sie an

Frechen, 6. Dezember 2017. Das Verhältnis zwischen Athlet und Trainer ist im Leistungssport geprägt von einem hohen Maß an Vertrauen und Kommunikationsfähigkeit. Der eine muss sich darauf verlassen können, dass der andere in dieselbe Richtung läuft – und beide müssen davon überzeugt sein, dass der Weg ans Ziel führt. Das gilt vor allem dann, wenn die Athletin blind ist und der Trainer gleichzeitig ihr Guide in der Loipe.

Es war im Jahr 2012, da klingelte im Hause Klug in München das Telefon. Am Apparat: der bayerische Landestrainer im Para Ski nordisch, Martin Härtl. Der hatte von einer jungen Frau mit angeblich blendenden Zukunftsaussichten Wind bekommen. „Hast du Lust zusammenzuarbeiten?“, fragte er die damals 17-jährige Clara Klug und verriet ihr auch gleich, wohin die Reise führen sollte: zu den Paralympischen Spielen 2018. Die Umschmeichelte sagte zu, war angesichts des großen Ziels aber erstmal überrumpelt. „Ich dachte mir nur: Na ja, schaun mer mal“, sagt sie im Rückblick schmunzelnd.

Im vergangenen Winter gab es jede Menge zu schauen und zu staunen. Zur Heim-Weltmeisterschaft in Finsterau fuhr sie im festen Willen, eine Medaille einzutüten – und einen Filu. Das WM-Maskottchen, ein Finsterauer Luchs, gab es in Stofftier-Form für jeden Medaillengewinner. Nach einer Woche im Bayerischen Wald hatte Klug sogar Übergepäck: einen Filu für sich und zwei zum Verschenken. Im Biathlon überraschte sich die Sportlerin vom PSV München selbst mit zweimal Silber und einmal Bronze – und setzte mit dem zweiten Platz im Gesamtweltcup beim Abschluss in Sapporo einen Monat später das Sahnehäubchen auf eine überragende Saison. „Der Winter hat mir endgültig gezeigt, dass mein Traum von den Paralympics kein Hirngespinst ist“, sagt sie.

Plötzlich auf sich allein gestellt

Das ist umso bemerkenswerter, weil der Sommer vor dem Winter alles andere als glücklich verlaufen war. Im Vorbereitungstrainingslager verletzte sich Martin Härtl schwer und war anschließend mehrere Monate matt gesetzt. Sein Schützling sah sich plötzlich auf sich allein gestellt, musste zwangsweise noch selbstständiger werden, sich andere Trainingspartner suchen und mit einem Interimsguide neue Automatismen finden. Das Duo Härtl/Klug war vorübergehend gesprengt.

Dabei passt die Chemie bestens. Der 42-jährige Beamte aus Weilheim und die 23-jährige Sportlerin pflegen einen trockenen Umgang miteinander. „Frotzeleien gehören dazu, die nötige Ernsthaftigkeit aber auch“, verrät Klug. Dass Martin Härtl zu Beginn ihres gemeinsamen Weges treibende Kraft war, hat sich im Verhältnis durchaus niedergeschlagen. Als ihr Heimtrainer nun ausfiel und zwar weiterhin die Trainingspläne schrieb, die Umsetzung aber seiner Athletin alleine überlassen musste, hatte diese viel Zeit zum Nachdenken und Resümieren. „Mir ist bewusst geworden, wie sehr ich das alles will, egal was kommt“, sagt sie. Aus Klarheit reifte Ehrgeiz. PyeongChang und die Paralympics 2018 wurden endgültig zum Fixpunkt.

Es ist sozusagen ein kleines Glück im Unglück, weil es die Selbstzweifel minimierte. In ihrer Anfangszeit kamen ihr 40 Minuten auf dem Laufband unendlich lange vor. Und auch danach kam die blinde Athletin immer wieder an einen Punkt, an dem sie sich sagte: „Ich schmeiß alles hin, ich schaffe das nicht.“ Es lag mitunter auch an Klugs Ungeduld. Daran, dass ihr die Fortschritte nicht schnell genug kommen konnten und sie sich ausgiebig darüber ärgerte, wenn ihre Waffe mal wieder nicht das tat, was sie wollte. „Das ist viel besser geworden“, sagt Härtl. „Jetzt machen sich die ganzen Investitionen richtig bezahlt.“

Reichlich Umfänge absolviert – auf dem Laufband und in der Natur

40 Minuten auf dem Laufband sind für Clara Klug inzwischen ein Klacks. Im Sommer 2017 verbrachte sie teilweise drei Stunden auf dem Gerät. „Da weißt du, was Langeweile ist“, sagt sie und lacht. Um das Ausdauertraining anspruchsvoller zu machen, stellte sie eine Steigerung von 15 Grad ein. Noch lieber aber war sie draußen in den Bergen unterwegs, begleitet von Wanderbegeisterten des Deutschen Alpenvereins, die sie per Annonce fand. Die Kampenwand am Chiemsee war einer der Gipfel, die sie erklomm, gerne auch zweimal am Tag – hoch, mit der Gondel runter und noch einmal hoch. „Wenn ich unterwegs war, habe ich versucht, auf mindestens 1000 Höhenmeter täglich zu kommen.“

Martin Härtl nahm es aus der Ferne zufrieden zur Kenntnis. „Sie hat ihre Hausaufgaben gemacht.“ Auch der Bundestrainer Ralf Rombach stellt Klug ein gutes Zeugnis aus. „Sie hat ihr Grundniveau erhöht und ist noch belastungsfähiger geworden“, sagt er. Wie viel das wert ist, wird sich im Wettkampf zeigen. Neben dem Biathlon-Doppelweltmeister von 2017, Martin Fleig (Ring der Körperbehinderten Freiburg) und den beiden Paralympics-Siegerinnen von Sotschi 2014, Andrea Eskau (USC Magdeburg) und Anja Wicker (MTV Stuttgart), zählt Clara Klug zu den heißesten Eisen im Feuer der deutschen Nationalmannschaft. Zum Weltcup-Auftakt geht es nach Canmore in Kanada (9. bis 17. Dezember), im neuen Jahr folgt der Heim-Weltcup in Oberried (20. bis 28. Januar). Die zuletzt infolge des McLaren-Berichts dopingbedingt gesperrten russischen Langläufer und Biathleten kehren unter Vorbehalt zurück, sie dürfen unter neutraler Flagge starten. „Die Leistungsdichte in der Weltspitze wird dadurch enger“, betont Klug, die dennoch so schnell wie möglich die Norm für die Paralympischen Spiele im März erfüllen will. Um in PyeongChang ganz sicher dabei zu sein, müsste sie einmal Dritte in einem Weltcup-Rennen werden, auch der vierte Platz könnte unter Umständen reichen.

Nach PyeongChang wartet Peking

Mit ihren Erfolgen des vergangenen Winters hat Clara Klug die eigene Messlatte hochgehängt. Auch in Südkorea soll wieder eine Medaille herausspringen – unabhängig davon, ob Russlands Athletinnen und Athleten bei den Spielen starten dürfen oder gesperrt bleiben. Der Sprung aus der Nachwuchselite-Förderung ins von der Allianz Deutschland AG, der Deutschen Telekom AG, der Sparkassen-Finanzgruppe und der Toyota Deutschland GmbH getragene Top Team des Deutschen Behindertensportverbands hat die Erwartungen ebenfalls geschürt, aber auch mächtig Erleichterung gebracht. „Finanziell ist das eine wahnsinnig wichtige Unterstützung“, sagt Klug, die sich die Freiheit eines Urlaubssemesters nahm. Nach den Paralympics wird die Studentin der Computerlinguistik ihre Bachelorarbeit schreiben.

Nach den Paralympics ist aber auch vor den Paralympics, nach PyeongChang also vor Peking, wo die Spiele im Jahr 2022 stattfinden. „Dann bin ich 27. Das ist eigentlich das beste Alter für eine Biathletin“, sagt Klug und stellt klar: diese ersten fünf intensiven Jahre als Ausdauersportlerin waren nur ein Anlaufnehmen. „Ich habe noch so viel Nachholbedarf, will noch an so vielen Schrauben drehen.“ Martin Härtl hört das gerne. Er ist der gleichen Meinung. „Diese Spiele werden ein riesiges Highlight. Aber die Topform ihres Lebens hat Clara noch vor sich“, betont er. Der gemeinsame Weg von Trainer und Schützling, er ist noch lange nicht beendet.

Mehr zum Top Team, das von der Allianz Deutschland AG, der Sparkassen-Finanzgruppe, der Deutschen Telekom AG und der Toyota Deutschland GmbH gefördert wird, zum Hintergrund und zum Kader finden Sie auf der Internetseite der Deutschen Paralympischen Mannschaft.

Kanada vor Augen, PyeongChang im Blick

Die deutschen Para-Skilangläufer und -Biathleten haben über den Sommer geschuftet – Der Weltcup-Start in Canmore (9. bis 17. Dezember) wird zu einer ersten Standortbestimmung auf dem Weg zu den Paralympics

Wenn sich an diesem Mittwoch die deutsche Nationalmannschaft Para Ski nordisch ins Flugzeug gen Westen setzt, dürfte die Gefühlslage der acht Athletinnen und Athleten an Bord irgendwo zwischen Aufregung und Vorfreude liegen. Monatelang haben sie auf den Auftakt der paralympischen Saison hingearbeitet, fast alle schraubten ihre Trainingsumfänge signifikant nach oben.

„Wir haben uns sehr gut entwickelt. Aber wo wir tatsächlich stehen, zeigt sich erst im Vergleich mit den anderen Nationen“, sagt Bundestrainer Ralf Rombach. Die Rennen von Canmore in der kanadischen Provinz Alberta und die des Heim-Weltcups in Oberried (Schwarzwald, 20. bis 28. Januar 2018) sind dabei nur das Aufwärmprogramm für den alles überstrahlenden Saisonhöhepunkt, die Paralympischen Spiele vom 9. bis 18. März 2018 im südkoreanischen PyeongChang. Für die allerdings muss sich jeder Einzelne erst qualifizieren. Sicher dabei ist, wer bei einem Weltcup-Start mindestens Dritter wird, ein vierter Platz reicht unter Umständen ebenfalls.

Die geringsten Schwierigkeiten im Kampf mit der Norm dürfte Martin Fleig (Ring der Körperbehinderten Freiburg) haben. Der 28-jährige Doppelweltmeister von Finsterau 2017 und Gesamtweltcupsieger im Biathlon sitzend steigt als Gejagter in den Schlitten. Der Gundelfinger will seinen eigenen gewachsenen Ansprüchen gerecht werden, ohne sich zu sehr unter Druck setzen zu lassen. Er weiß: „Mit den Paralympics vor Augen werden alle in die Vollen gehen.“

Russlands Athleten kehren zurück – vorerst

Hinzu kommt: Nach einjähriger Zwangspause kehren die starken russischen Athletinnen und Athleten in den Weltcup-Zirkus zurück. Die im Zuge der Doping-Enthüllungen des McLaren-Reports seit August 2016 gesperrten Sportler starten bei den Weltcups unter neutraler Flagge. Ob sie auch bei den Paralympics dabei sein dürfen, hat das Internationale Paralympische Komitee (IPC) noch nicht entschieden.

„Die Leistungsdichte in der Weltspitze wird durch ihre Rückkehr enger“, sagt Clara Klug (PSV München). Die 23-jährige Münchenerin war in der Konkurrenz der Sehbehinderten mit zwei Silber- und einer Bronze-Medaille bei der WM eine der Aufsteigerinnen des vergangenen Winters und möchte daran ansetzen. Gemeinsam mit ihrem Heimtrainer und Begleitläufer Martin Härtl (SK Nesselwang) strebt sie seit fünf Jahren den Spielen von Pyeongchang entgegen. Ihr Ziel für Südkorea: eine Medaille.

Interne Konkurrenz bekommt Klug erfreulicherweise durch Vivian Hösch (Ring der Körperbehinderten Freiburg). Wegen gesundheitlicher Beschwerden hat die 26-Jährige die vergangene Saison fast komplett verpasst und freut sich nun auf ihre Rückkehr. „Es war ein schönes Gefühl, wieder auf Schnee zu stehen“, schwärmte Hösch nach den jüngsten Trainingseindrücken. Als Guide an ihrer Seite läuft wie gehabt Florian Schillinger (SV Baiersbronn). Bei den Männern mit Sehbehinderung wollen Höschs Vereinskollege Nico Messinger und dessen neuer fester Begleitläufer Lutz Klausmann (SV St. Georgen) nachweisen, dass ihre Zusammenarbeit fruchtet. Die war allerdings zuletzt wegen einer hartnäckigen Verletzung an Messingers Bein beeinträchtigt. „Wir müssen abwarten, wie es unter Wettkampfbelastung läuft“, sagt der 22-Jährige.

Die Dauerläuferin Eskau ist hungrig

Bei den Frauen sitzend hat Ralf Rombach in Andrea Eskau (USC Magdeburg) ein heißes Eisen im Feuer. Die 46-jährige Elsdorferin hat sich seit ihrem Doppel-Gold mit dem Handbike im Sommer bei der Para-Rad-WM in Südafrika intensiv auf den Winter vorbereitet, zuletzt drei Wochen lang mit Alt-Bundestrainer Werner Nauber in Livigno (Südtirol), wo vor allem Biathlon auf dem Trainingsplan stand. Nun ist die Seriensiegerin fit und hungrig. „Die Betreuung durch Werner war erstklassig. Ich bin mit der Vorbereitung sehr zufrieden“, sagt sie. Anja Wicker vom MTV Stuttgart will ihre Leistungen der vergangenen Jahre ebenfalls bestätigen. 2014 wurde sie aus dem Nichts in Sotschi Paralympics-Siegerin. Seitdem ist sie eine feste Größe in der Weltklasse. In Canmore startet sie im neuen, spürbar leichteren Schlitten und freut sich auf bislang unbekannte Strecken. „Die Norm für PyeongChang sofort zu knacken, wäre beruhigend“, sagt sie.

Bei den Männern stehend ist das deutsche Team in diesem Winter wieder mit mindestens zwei Athleten vertreten. Steffen Lehmker aus Bad Bevensen geht in seine zweite volle Saison. Nach einem Vereinswechsel startet er nun für den WSV Clausthal-Zellerfeld und feilte mit Trainer Toni Schmidt vor allem am Schießen, der Ausdauer und der Technik. „Ich habe viel investiert, um voranzukommen und habe ein gutes Gefühl“, sagt er. Mächtig Druck hat Lehmker von einem Neuling in der Mannschaft bekommen. Der 48-jährige Alexander Ehler (SV Kirchzarten) war Ende der 1980er eines der größten Biathlon-Talente in seiner Heimat Kasachstan, bevor ein Motorradunfall seine Karriere jäh beendete. Nach jahrzehntelanger Pause hat der Vater der Mannschafts-Europameisterin im Degenfechten der Juniorinnen 2015, Alexandra Ehler, seine alte Leidenschaft neu entdeckt und mit Michael Huhn trainiert, im deutschen Para Ski-nordisch-Team für den Nachwuchs zuständig. Der zeigt sich beeindruckt von Ehlers körperlicher Verfassung und seinen technischen Fähigkeiten. „Er ist ein Allrounder. Ich kenne niemanden, der in seinem Alter noch so ein Niveau hat“, sagt Huhn.

Ein dritter deutscher Steher muss sich derweil weiter gedulden. Marco Maier (SK Nesselwang), dem das IPC vor einem Jahr nach einer medizinischen Neubewertung die Starterlaubnis entzog, stellt sich im Januar erneut den Regelhütern. Der deutsche Teamarzt Lars Meiworm will bei der Klassifizierung in Oberried Ende Januar nachweisen, dass die Entscheidung des IPC nicht richtig war. Sein Weltcup-Debüt soll dann auch Patrik Fogarasi feiern. Der 42-jährige Sitzskiathlet vom WSC Oberwiesenthal kommt vom Para Kanu und will sich künftig im Winter mit seinen Ausdauerfähigkeiten einbringen.

 

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