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Den sechs Weltrekorden bei den Internationalen Deutschen Meisterschaften Anfang April in Berlin folgt nun vom 12. bis 18. Juni auf Madeira (Portugal) die WM-Premiere im Para Schwimmen für Tanja Scholz, die von Paralympics-Siegerin Kirsten Bruhn trainiert wird – Über sportlichen Ehrgeiz und den Mut, jeden Tag aufs Neue wieder aufzustehen.

Schon bei ihrem ersten internationalen Wettkampf im Para Schwimmen, den World Series in Aberdeen, sorgte Tanja Scholz für Bestmarken: Über die 100 Meter Freistil ließ die Elmshornerin im Februar direkt mit einem Weltrekord aufhorchen, bei den 50 Metern Freistil schwamm sie zudem einen Europarekord. Anfang April sorgte die 37-Jährige bei den Internationalen Deutschen Meisterschaften in Berlin für noch dickere Ausrufezeichen: Sowohl über die 50, 100 und 200 Meter Freistil stellte Scholz je zwei Mal neue Weltbestzeiten auf. „Es ist unglaublich, was sie aus ihrem Körper herausholt“, sagt Bundestrainerin Ute Schinkitz über die Athletin des PSV Union Neumünster, die zwischen dem 12. und 18. Juni auf Madeira ihr Debüt bei den Weltmeisterschaften im Para Schwimmen geben wird.
 
Scholz falle es jedoch noch „richtig schwer“, sich über die Bestzeiten und Rekorde zu freuen: „Weil ich das immer mit meinem Unfall verbinde. Wenn ich neutral bin, freue ich mich und springe im Dreieck und denke mir: ‚Was stelle ich hier gerade auf die Beine!‘“ Andererseits habe sie aber gleichzeitig im Kopf, dass sie im Rollstuhl sitze. Grund dafür ist ein Reitunfall im Juni 2020 und die daraus folgende inkomplette Querschnittlähmung. Unzweideutig sagt sie: „Der Unfall hat einfach mein Leben zerstört. Ich musste mir alles komplett neu aufbauen.“ Zuvor arbeitete die Schwimmerin im Herzkatheterlabor, war „oft mit am OP-Tisch und dort für die Medikamente zuständig, die die Patienten bekommen haben.“ Weil sie die Arbeit nicht mehr ausführen kann, arbeitet sie nun auf einer Unfallchirurgischen Station und unterstützt die Schwestern bei der Stationsarbeit. „Ich musste mich auch als Mutter wieder neu sortieren, dass ich eben nicht mehr alles kann“, berichtet die Elmshornerin, die zusammen mit ihrem Mann Björn drei Kinder hat.
 
Die Bestzeiten in Aberdeen und Berlin, die Fortschritte im Training seien „zum ersten Mal etwas Positives.“ Das Schwimmen sei für Scholz „eine Therapie mit ganz viel Ehrgeiz.“ Schon die damalige Kindergärtnerin von Scholz bezeichnete sie als Wasserratte. „Sie hat immer gesagt: ,Die muss einfach ins Wasser!‘ So bin ich dann zum Schwimmsport gekommen – und bin durchgeschwommen, ich war immer schon leistungsmäßig dabei.“ Scholz startete bei deutschen Meisterschaften, stand im D-Kader. Nur wegen der Schule habe sie kurz mit dem Schwimmen aufgehört, „aber ich war dann auch relativ schnell wieder bei den Masters dabei.“ Im Freiwasser hat Scholz sogar schwanger an Wettkämpfen teilgenommen. „Schwimmen ist schon immer mein Leben gewesen. Und es zieht sich bis jetzt durch mein Leben durch.“
 
„Waren uns sofort sympathisch“: Training mit Kirsten Bruhn und ihrem Vater Manfred
 
Deshalb zog es die 37 Jahre alte Athletin nach ihrem Unfall schnell wieder ins Wasser. Trainiert wird Scholz von Kirsten Bruhn, die 2004, 2008 und 2012 bei den Paralympics jeweils Gold über die 100 Meter Brust gewann und auf insgesamt elf paralympische Medaillen kommt. Den Kontakt zu Bruhn, die in Neumünster lebt, hat Scholz über Bernd Berkhahn herstellen können, der Trainer von Weltmeister und Olympiasieger Florian Wellbrock ist. Berkhahn, der im olympischen Bereich auch Trainer von Scholz selbst war, habe ihr geschrieben, dass es Kirsten einst ähnlich wie ihr gegangen sei und Scholz zurück ins Wasser müsse. „Und dann habe ich Kirsten tatsächlich nur eine E-Mail geschickt: Ich habe sie gefragt, wie sie das gemacht hat und wo sie angefangen hat. Einfach, wo man wieder schwimmen kann. Dann haben wir telefoniert, uns getroffen und waren uns sofort sympathisch.“
 
Bruhn, die nach einem Motorradunfall mit 19 Jahren eine Querschnittlähmung hat und ebenfalls im Rollstuhl sitzt, sei laut Scholz zwei Wochen im Monat in Neumünster. „Und dann trainieren wir immer zusammen.“ Sonst schicke die dreimalige Paralympics-Siegerin die Trainingspläne an Scholz, dann übernimmt Bruhns Vater Manfred das Training. Bundestrainerin Ute Schinkitz sagt über die Zusammenarbeit der beiden: „Was ich während einer Trainingseinheit am Beckenrand sage – das ist sicherlich nicht falsch. Aber wenn Kirsten das sagt und dann auch noch vormacht, ist das nochmal etwas ganz anderes.“ Vor allem, „wenn Tanja das auch nochmal jemandem zeigen kann, der selbst an sich und an seinem Leben gezweifelt hat.“ Das Training mit Kirsten Bruhn habe laut Schinkitz „Tanja und ihrer ganzen Familie unglaublich gutgetan. Da kann ich nur glücklich sein, was Kirsten und Manfred da geleistet haben. Das nimmt mich emotional auch sehr mit.“
 
Freistil liegt Scholz am besten von den vier Lagen. „Früher waren die 100 Meter Brust meine Paradestrecke.“ Seit dem Unfall gehe das aber nicht mehr. „Das Kraulschwimmen hat mir jetzt einfach in die Karten gespielt, weil mein Oberkörper dabei im Wasser liegt und meine Arme nicht parallel arbeiten.“ Weil sie ihren Oberkörper nicht richtig ansteuern könne, drehe sie sich bei anderen Lagen häufig im Wasser. „Bei Kraul ist das Gottseidank nicht der Fall. Da haben wir jetzt eine Technik gefunden, mit der es wirklich gut geht.“
 
„Hallo, das ist eine WM!“: Als Medaillenkandidatin zur Premiere
 
Trainiert wird meist erst abends. „Die Kinder essen bis 19 Uhr und dann fahren wir erst los. Mir ist schon sehr wichtig, dass die Kinder im Vordergrund sind“, stellt Scholz heraus. „Natürlich hat der Sport eine große Bedeutung und begleitet uns. Die Kinder sind auch stolz, sollen aber wegen dem Sport nicht zu kurz kommen“, sagt Scholz, die seit ihrem Unfall „von Tag zu Tag lebt. Ich weiß nicht, wie ich aufwache: Wie bin ich drauf? Stehe ich überhaupt auf? Habe ich den Mut aufzustehen?“ Es sei alles schwer und vieles müsse gut bedacht sein, damit sie sich auch raus traue. „Dieses ‚normale‘ freie Leben – einfach rausgehen und mal etwas machen – das gibt es gerade nicht mehr. Ich hoffe, dass ich dort irgendwann wieder hinkomme.“
 
Ein wichtiger Schritt auf ihrem Weg könnte die WM auf Madeira sein. Für Bundestrainerin Schinkitz ist sie bei ihrer Premiere sogar schon Medaillenkandidatin im Freistil. Schon das Trainingslager in der Türkei sei laut Scholz „eine richtig tolle Zeit“ gewesen. „Ich war sehr aufgeregt, allen zu begegnen. Ich kannte die anderen nur aus dem Fernsehen und fand das überragend, was sie alles erreicht haben. Jetzt auf einmal saß man dann mit allen an einem Tisch oder war zusammen im Wasser“, erzählt Scholz. Auf Madeira wird sie in der Startklasse S4 über die 50 und 100 Meter Freistil, sowie die 50 Meter Rücken an den Start gehen und bei den 150 Meter Lagen in der Klasse SM3. „Ich hoffe, dass ich die Zeit auf Madeira genießen kann. Es ist für mich etwas sehr Besonderes, dort starten zu dürfen. Hallo, das ist eine WM!“  Allein dort dabei sein zu können, sei „phänomenal. Deswegen hoffe ich, dass ich gar keinen so großen Druck aufbaue und einfach schwimme, weil es mir guttut und mega viel Spaß bringt.“

Quelle: Patrick Dirrigl

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