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Vier Jahre später als erhofft erfüllt sich Christian Schmiedt seinen Traum von den Paralympics, nachdem er 2018 fast aufgegeben hätte. Mit einem Gute-Laune-Team, der Motivation des Olympia-Teilnehmers Martin Nörl und der „Erleuchtung“ im Kloster nimmt der 33-Jährige das Abenteuer Paralympics ins Visier.

Am vergangenen Wochenende trafen sich die drei Para Snowboarder Christian Schmiedt, Manuel Neß und Matthias Keller zum letzten Training vor dem Abflug nach Peking in Flumserberg in der Schweiz, um gemeinsam mit der Schweizer Para Snowboardfahrerin Romy Tschopp zu trainieren. Boardercross-Strecken sind schwer zu finden, „die meisten sind schon eingestampft“, vermutet Christian Schmiedt, „aber dort gab es einen Kurs, der zwar keine Sprünge hatte, aber kleinere Wellen, das war gut.“ Schmiedt gilt als verheißungsvollster Kandidat der drei deutschen Paralympics-Debütanten auf dem Snowboard.
 
Am besagten Wochenende fand am Stützpunkt von Snowboard Germany ein Wettkampf statt und weil alle drei Deutschen berufstätig sind, blieb zum Training nur die Alternative Flumserberg – mit der außergewöhnlichen Unterkunft in einem Kloster. Schmiedt lacht, wenn er davon erzählt: „Das war eher ein Zufall, alles andere war nicht frei oder nicht bezahlbar. Wenn du dann mit T-Shirt und Jogginghose zum Frühstück bist, kamen dir Nonnen entgegen und haben gegrüßt. Das Licht im Fahrstuhl war so hell, ich habe immer gedacht: Jetzt kommt die Erleuchtung.“
 
Der Trainer hofft auf eine Final-Teilnahme
 
Schmiedt, mit Vollbart und groß gewachsen, ist nie um einen Spruch verlegen, das ist schnell zu spüren. Im kleinen Team der drei Para Snowboarder nebst Trainer, Co-Trainer und Physiotherapeutin ist es aber auch schwierig, schlechte Laune zu haben. „Wir harmonieren extrem gut miteinander. Das wäre auch schlimm, wenn nicht. Wir sind ein homogener Haufen und immer alle zusammen unterwegs, das passt wie Arsch auf Eimer“, sagt der 33-Jährige vom SV Germering, der eine Dysmelie an allen vier Extremitäten hat. Mit Platz sieben im Dual Banked Slalom fuhr er die beste deutsche Platzierung bei der Para Schneesport-Weltmeisterschaft in Lillehammer im Januar ein. Auch im Snowboard Cross, der ihm noch mehr liegt, erreichte er als einziger Deutscher den Finaltag, stürzte dann aber unglücklich.
 
Platz fünf bei einem Weltcup 2020 im spanischen La Molina war bislang das beste Ergebnis im Snowboard Cross für den gebürtigen Backnanger. Mit einem Platz im Halbfinale der besten Acht wäre er in Peking mehr als glücklich: „Bis auf die Chinesen waren alle bei der WM dabei, da rutschen vielleicht noch ein oder zwei vor mich. Die ersten Sechs der Welt machen das professionell, daher wäre ich mit einer Top-Acht-Platzierung zufrieden“, sagt Schmiedt, der in Vollzeit als Betriebsprüfer bei der Rentenversicherung arbeitet.
 
Sein Trainer träumt sogar von mehr. „Erhoffen würde ich mir für Chris einen Platz im Finale der besten Vier“, sagt Cheftrainer André Stötzer, der Schmiedt seit 2017 kennt: „Realistisch ist ein Platz unter den Top Acht. Er hat sich in den letzten sechs Jahren massiv verbessert. Ein guter Snowboarder war er immer, aber die Hilfsmittel haben nicht ganz gepasst. Vor kurzem haben ihm neue Schäfte und Prothesenfüße noch mal richtig einen Schub gegeben, das spielt bei doppelt unterschenkelamputierten Snowboarder eine große Rolle. Ich glaube, da hat er gemerkt, dass das die Tür nach Peking weit öffnet.“
 
Pionier-Arbeit in einer jungen Para Sportart
 
Dass er es als Para Snowboarder überhaupt zu Paralympics schafft, hätte Schmiedt vor einigen Jahren fast nicht mehr geglaubt. 2014 bei der Paralympics-Premiere der Sportart war mit Stefan Lösler nur ein Deutscher dabei, inspiriert davon wollte Schmiedt mit seinem Kumpel Manuel Neß zu den Spielen nach PyeongChang 2018. Und weil es zunächst keine finanzielle Förderung gab, starteten beide ab 2015 als Selbstzahler bei Weltcups. Doch zur angestrebten Teilnahme an den Spielen in Südkorea kam es nicht, da die Nominierungskriterien nicht erfüllt waren. Zudem mussten sich die Strukturen in der jungen Para Sportart in Deutschland erst entwickeln. Und als sich Neß und Schmiedt auch noch schwer an der Schulter verletzten, wollten sie schon fast aufgeben: „Wir haben gesagt: Wir machen uns nicht kaputt und zahlen es noch selber. Da hätten wir dann hingeschmissen, wenn sich strukturmäßig nichts getan hätte.“
 
Nachdem die beiden zunächst viel Pionier-Arbeit leisten mussten, kam über die Vermittlung einer Bekannten mit André Stötzer ein Snowboardlehrer als Unterstützung hinzu. Dieser trainierte mit dem Duo ehrenamtlich, bis er nach den Paralympics in Südkorea als Cheftrainer Para Snowboard im Deutschen Behindertensportverband installiert wurde. Erste Mission: Athleten finden. „Chris und Manu waren für mich als Pioniere gesetzt, sie sind dann bei der Sichtung auch hervorgestochen.“ Und so durfte Schmiedt mit Kumpel Neß ab 2018 auch offiziell für den DBS Rennen fahren.
 
„Das darf nicht jeder anziehen, das ist schon eine Ehre“
 
Mit vier Jahren Verspätung darf Schmiedt nun also sein Paralympics-Debüt feiern – und das weiß an seinem Wohnort sogar der Paketbote. „Mit dem verstehe ich mich echt gut und meine Einkleidungs-Teile kamen mit ein paar Tagen Verzögerung. Beim zweiten Paket hat er dann gefragt: Was kriegst du da alles? Und hat gesagt, dass er es in der Zeitung gelesen hat und mir viel Erfolg wünscht.“ Krass sei das Gefühl, sich in der offiziellen Einkleidung zu sehen, sagt Schmiedt: „Da steht man vor dem Spiegel, freut sich und denkt schon: Jetzt wird’s ernst, das darf nicht jeder anziehen. Das ist schon eine Ehre.“
 
Damit bis zum Abflug am Freitag auch coronatechnisch nichts schief geht, helfen alle mit. Zwar muss Schmiedt noch bis Donnerstag arbeiten, weil „es im Geschäft brennt“. Aber die Arbeitskollegen haben ihren Paralympics-Starter, der eigentlich im Außendienst unterwegs ist, ins Home Office verfrachtet: „Die haben gesagt: Du bleibst daheim, wir regeln das – weil die wissen, dass ich jetzt nicht noch mal Corona kriegen sollte.“ Seine Frau geht mit dem kleinen Kind nicht zum Sport, auch die Eltern, die Schmiedt regelmäßig sieht, verzichten auf Kontakte: „Da muss ich schon auch mal danke sagen, dass die alle für mich zurücktreten, die entbehren da viel. Nach meiner Genesung im Dezember habe ich mich vergangene Woche auch noch boostern lassen. So habe ich alles getan, dass ich mich nicht anstecke.“
 
Tipps vom Weltcup-Gesamtführenden Martin Nörl
 
Die Herausforderungen, um die es ihm in erster Linie geht, will Schmiedt auf der Piste angehen. Informationen über die Bedingungen in China hat er dafür aus erster Hand, weil er mit dem Weltcup-Gesamtführenden Martin Nörl regelmäßig im Austausch steht, der bei Olympia unglücklich nach einem Sturz ausschied. „Über unseren Inklusionsmanager von Snowboard Germany haben wir alle ein Renn-Shirt bekommen, meins war von Martin Nörl. Vor der WM haben wir kurz geschrieben und jetzt während der Olympischen Spielen auch. Die hatten leider viel Pech, aber was er gesagt hat: Es ist arschkalt, zieht euch warm an. Ich hoffe, dass der Schnee liegen bleibt, bis wir da sind, denn ich hasse es, auf Eis zu fahren – aber gut, wer mag das schon?“
 
Wenn Schmiedt am 6. März in der Snowboard Cross-Qualifikation erstmals startet und am Tag darauf hoffentlich in den Finals dabei ist, werden ihm nicht nur seine Teamkollegen und die Familie in der Heimat die Daumen drücken, sondern auch das olympische Snowboard-Team um Martin Nörl. Der Inklusionsmanager von Snowboard Germany, Ivan Osharov, hat Cheftrainer Stötzer mit einem Augenzwinkern mitgegeben, dass der Druck nun auf den Para Snowboardern laste, nachdem die Olympischen Spiele nicht so liefen wie erhofft: „Er hat gesagt, dass wir es jetzt reißen müssen.“ Vielleicht ist ja Christian Schmiedt für eine Überraschung gut, wenn die Paralympics-Teilnahme in wenigen Tagen nicht mehr nur ein Traum ist.
 
Alle Informationen rund um das Team Deutschland Paralympics und die Paralympischen Winterspiele in Peking gibt es auf unserer Website.

Quelle: Nico Feißt

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